Law Corner: „KMU auf unbestimmte Zeit von MiFID-Regelungen ausnehmen“

Ingo Wegerich, Luther
Ingo Wegerich, Luther

Interview mit Ingo Wegerich Rechtsanwalt und Partner, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Präsident des Interessenverbandes kapitalmarktorientierter KMU e.V. 

Herr Wegerich, der KMU-Interessenverband war wieder fleißig und hat sich an einer Konsultation der Europäischen Kommission beteiligt. Worum ging es im Detail?
Für die juristisch Kundigen – es ging hier um eine öffentliche Konsultation zur Überprüfung des MiFID II/ MiFIR-Rechtsrahmens. Die MiFID ist die europäische Finanzmarktrichtlinie, die MiFIR ist die europäische Finanzmarktverordnung. Wir haben uns im Rahmen dieser Konsultation insbesondere im Bereich Research-Coverage für KMUs positioniert.

Wie sehen Sie die MiFID? Vielfach wird die MiFID als regulatorisches Monster bezeichnet …
MiFID II/MiFIR erhöhen den Verwaltungsaufwand für alle Anbieter von Wertpapierdienstleistungen dramatisch. Die Flut der zusätzlichen Informations-, Dokumentations- und Berichtspflichten der komplexen und umfangreichen MiFID II/MiFIR-Vorschriften verursacht einen großen zusätzlichen Verwaltungsaufwand und führt für die betroffenen Marktteilnehmer zu ganz erheblichen externen Kosten, insbesondere im Bereich Rechtsberatung/Compliance und IT-Dienstleistungen. Neben 39 (!) Durchführungsverordnungen und delegierten Verordnungen auf Level 2, veröffentlicht die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) Leitlinien und auf einer fortlaufenden Basis aktualisierte Q&As. Auf nationaler Ebene sind Durchführungsbestimmungen und -anordnungen sowie eine Vielzahl aufsichtsbehördlicher Veröffentlichungen zu berücksichtigen. Schon die aktuellen Entwicklungen zu verfolgen, ist für kleinere Dienstleister nahezu unmöglich, von ihrer Umsetzung gar nicht zu sprechen. Die sehr detaillierten Vorschriften und Anforderungen werden darüber hinaus von Anlegern als übermäßige bürokratische Belastung wahrgenommen, nicht verstanden und vielfach abgelehnt.

Das klingt in der Tat nach einem Regulierungsdickicht. Schaut da noch jemand durch – was sind die Folgen?
Die Folge ist, dass eine Vielzahl an kleineren Wertpapierfirmen wegfallen, weil die einmaligen, aber auch fortlaufenden Rechtsberatungs-, Compliance- und IT-Kosten für kleinere Anbieter von Wertpapierdienstleistungen nicht mehr zu bewältigen sind. Dies hat ganz negative Folgen insbesondere für KMU, die die Kapitalmarktfinanzierung als Chance begreifen und sich über den Kapitalmarkt finanzieren wollen. Diese KMU sind aber auf diese kleinen Anbieter von Wertpapierdienstleistungen angewiesen, weil die großen Anbieter den KMU diese Leistungen nicht anbieten oder große Anbieter einfach zu teuer sind. Das Ökosystem Börse/Kapitalmarkt ist damit gefährdet und sogar in Frage gestellt.

Was schlagen Sie vor?
Unsere Forderung ist, dass klassische Kapitalmarktprodukte, die der Unternehmensfinanzierung dienen und von Unternehmen selbst emittiert werden, insbesondere im KMU-Bereich, von den Anlegerschutzvorschriften der MiFID II/MiFIR vollständig und dauerhaft ausgeschlossen werden. Dies soll für KMU-Aktien, -Anleihen, -Convertibles, -Options-­Anleihen und -Stock-Options-Programme gelten.

Kommen wir zum Thema Research-Coverage für KMU: Wie sieht es da aus und wo liegt das Problem?
Vor dem Inkrafttreten von MiFID II war es üblich, dass Banken Vermögensverwaltern und Fondsgesellschaften Research-Dienstleistungen in Verbindung mit dem Brokerage der entsprechenden Wertpapiere bereitstellten. Unter MiFID II müssen Vermögensverwalter Research-Dienstleistungen entweder aus eigenen Mitteln oder aus einem sogenannten Analysekonto, das durch Kundengelder gespeist wird, zahlen. Die Entgelte der Banken dürfen dann nur noch die Kosten für die Ausführung von Wertpapiertransaktionen, nicht aber weitere Dienstleistungen umfassen. Nach MiFID II sind Research-Dienstleistungen, die nicht aus eigenen Mitteln oder dem Analysekonto bezahlt werden, einem strengen Rechtsregime unterliegende Zuwendungen an den Vermögensverwalter.

Und das hat welche Folgen?
Die Kapitalmarktfinanzierung für KMU wird durch die neuen Research-­Regelungen unter MiFID II ganz erheblich erschwert und sogar in Frage gestellt. Dies ist umso schwerwiegender, wenn man berücksichtigt, dass bereits vor dem Inkrafttreten von MiFID II die drei größten Herausforderungen aus Sicht der KMU die mangelnde Liquidität der Aktien, das mangelhafte Coverage durch die Analysten und das mangelhafte Interesse institutioneller Investoren waren. Die Research-Regelungen unter MiFID II führen zu einem Rückgang der Brokerhäuser – hier werden insbesondere die kleinen Brokerhäuser zurückgehen – und zu einem Rückgang der Research-Provider und Analysten – insbesondere im KMU-Bereich. Im Ergebnis wird das „Ökosystem Börse für KMU“ in Frage gestellt. Weniger Research-­Coverage führt zu weniger Liquidität, die wiederum zu weniger Research-Coverage. Bei weniger Liquidität ziehen sich Investoren aus dem Marktsegment zurück. Das Ergebnis ist ein negativer Kreislauf. Betroffen sind hier insbesondere KMU, die nicht im Fokus der Investoren liegen. Mit Blick auf kommende Basel IV-Regelungen, die die Bankenfinanzierung des Mittelstandes mittelfristig deutlich erschweren dürften – und auch im Hinblick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die mittelständische Wirtschaft ist dies zutiefst besorgniserregend.Mifid Europa

BondGuide: Ist das belegbar?
Repräsentative Studien zu den Folgen der Research-Regelungen nach MiFID II kommen insbesondere für KMU zu katastrophalen Ergebnissen: Ein Großteil der Investoren berichtet, dass seit Inkrafttreten der MiFID II weniger Research für KMU erstellt wird; die Teilnehmer drücken Besorgnis über die ResearchCoverage für KMU aus; nahezu 2/3 der Investoren glaubt, dass MiFID II einen negativen Einfluss auf die Liquidität der KMU-Aktien hat.

Und wie ließe sich dieser beschriebene Teufelskreis durchbrechen?
Mit Blick auf die Coronakrise sollten KMU in jedem Fall auf unbestimmte Zeit von den gegenwärtigen MiFID-Research-Regelungen ausgenommen werden – um eine ggf. notwendige Kapitalmarktfinanzierung durch IPOs, Anleihen und Kapitalerhöhungen für kapitalmarktorientierte KMUs zu gewährleisten. Wir bezweifeln stark, dass die mittelständische Wirtschaft allein mit Staatshilfen nach der Coronakrise restrukturiert werden kann. Der Kapitalmarkt spielt dabei eine wichtige Rolle, benötigt aber die richtigen Rahmenbedingungen, um seinen Beitrag schnell und effektiv leisten zu können. Aus unserer Sicht sind daneben wirklich erfolgreiche Lösungsansätze zur Stärkung der Kapitalmarktfinanzierung von KMU – aber weniger relevant im Rahmen dieser Konsultation – ein stärkerer Einsatz von Aktien und insbesondere KMU-Aktien im Rahmen der Altersvorsorge sowie eine steuerliche Privilegierung der Aktienkultur, insbesondere im KMU-Segment.

Herr Wegerich, herzlichen Dank für das interessante Gespräch: schön, dass der kapitalmarktorientierte Mittelstand ein Sprachrohr hat.

Das Interview führte Falko Bozicevic

Hinweis: Dieser Artikel ist aus dem aktuellen BondGuide 11-2020 von letztem Freitag.

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