Schäubles Rolle in Europa – Retter oder Totengräber?

Auf den ersten Blick scheint es so, als ob Europa in letzter Sekunde gerettet werden konnte. Aber davon kann definitiv nicht die Rede sein. Denn noch längst ist nicht alles in trockenen Tüchern. Die Kolumne von Klaus Stopp, Baader Bank.

Bei den Menschen und in den Parlamenten ist noch genügend Überzeugungsarbeit zu leisten, da die getroffenen Vereinbarungen nur die Grundlage für weitere Gespräche bilden. Man darf also gespannt sein, was zum Jahresende noch von den guten Vorsätzen, die man jetzt gefasst hat, übrig geblieben ist. Doch nach den härtesten Verhandlungen, die bisher in Brüssel zu führen waren, wird weiterhin über die Verhandlungsstrategie und Unnachgiebigkeit Deutschlands diskutiert.

Hierbei rückt insbesondere unser Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in den Mittelpunkt der Berichterstattung, der sich teilweise regelrechten Hasstiraden ausgesetzt sieht. Doch all‘ seine Kritiker verkennen, dass seine Unnachgiebigkeit auch das Ergebnis der bisherigen Reformverweigerung aller griechischen Regierungen der vergangenen Jahre darstellt. Die Verlässlichkeit war das Problem, und somit mussten rote Linien eingezogen werden, um das gesamte europäische Gebäude nicht zum Einsturz zu bringen.

Eine sinnvolle Bewertung politischer Maßnahmen kann stets nur rückblickend erfolgen und so wird auch erst in vielen Jahren ersichtlich sein, ob Europa durch diese strengen Vorschriften gerettet oder geschwächt wurde. Fakt ist aber auch, dass man durch die Verweigerung eines Schuldenschnitts und durch die Forderung nach unumkehrbaren Parlamentsbeschlüssen das verloren gegangene Vertrauen regelrecht erzwingen möchte.

Gewinner gibt es eh schon nicht
Denn Europa und insbesondere Euroland wurden bereits nachhaltig beschädigt. Nun galt es, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und dazu musste eine Kombination aus Schuldentragfähigkeit sowie Investitionsbereitschaft gefunden werden. Nur auf diese Weise wird es gelingen, für die nachfolgenden Generationen ein gemeinsames Europa zu schaffen.

Vielleicht wird man in einigen Jahren die Geschichtsbücher neu schreiben müssen, weil man dann erkannt hat, dass Wolfgang Schäuble zum Wohle Europas gehandelt hat und sich nicht in einem Europa ohne Grenzen den modernen Raubrittern geschlagen gegeben hat. Auch wäre man früher oder später mit ähnlichen Forderungen aus anderen Staaten konfrontiert worden, was zu Ungerechtigkeiten innerhalb der Eurozone geführt hätte. Andere Politiker wie beispielsweise aus Italien und Frankreich haben diesen Weitblick vermissen lassen und scheinen das griechische Sprichwort „Arbeite, damit du lebst, stehle, damit du besitzt“ anders zu bewerten als der deutsche Michel. Danke, W.S.!

Marktumfeld oder Sommerflaute?
Investoren stellen sich vermehrt die Frage, ob die Zurückhaltung am Primärmarkt mit dem Marktumfeld zusammenhängt oder bereits die Vorboten der Sommerflaute sind. Vieles spricht für eine Wiederbelebung der Aktivitäten noch vor der Sommerpause. Die Unternehmen wurden von dem kräftigen Zinsanstieg überrascht und hoffen immer noch auf eine Rückkehr der für sie günstigen Finanzierung. Sollte dieser Wunsch jedoch nicht in Erfüllung gehen, so müssen die Finanzchefs in den sauren Apfel beißen und die höheren Konditionen akzeptieren.

Pariser Flughafen emittiert 500 Mio. EUR Anleihe
Dem aktuellen Marktumfeld zum Trotz, in dem Zurückhaltung am Primärmarkt dominiert, wagte sich dennoch ein Unternehmen mit seiner Refinanzierung an den Kapitalmarkt: Aeorport de Paris hat sich zu diesem Schritt  entschlossen. So startete der französische Hauptstadtflughafen gegen den Wind durch und refinanzierte sich für acht Jahre (2023) mittels einer 500 Mio. EUR schweren Anleihe (FR0012861821), ausgestattet mit einem festen Kupon von 1,5% pro Jahr. Gepreist wurde der Bond mit 99,821%, was einem Emissionsspread von +60 bps über Mid Swap entsprach. Die Stückelung von nominal 100.000 EUR lässt ein Investment allerdings eher für institutionelle Anleger interessant erscheinen.

Klaus Stopp
Leiter Skontroführung Renten, Baader Bank AG

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