Law Corner: Die Teilnahme von Anleihegläubigern an Insolvenzgläubigerversammlungen

Dr. Christian Becker (li) und Dr. Lutz Pospiech, GÖRG

Der Law Corner Beitrag von Dr. Christian Becker, Partner, Dr. Lutz Pospiech, Assoziierter Partner, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München.

Wurde ein gemeinsamer Vertreter für die Gläubiger einer Anleihe bestellt, ist dieser gem. § 19 Abs. 3 SchVG allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Anleihegläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Der gemeinsame Vertreter nimmt für die Anleihegläubiger an Insolvenzgläubigerversammlungen teil und übt für diese ihr Stimmrecht aus. Ob daneben die einzelnen Anleihegläubiger trotz der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters an einer Insolvenzgläubigerversammlung teilnehmen dürfen, ist unklar.

Ausgangslage
Ist kein gemeinsamer Vertreter bestellt, müssen die Anleihegläubiger ihre Rechte individuell im Insolvenzverfahren geltend machen. Sie sind berechtigt, an Insolvenzgläubigerversammlungen teilzunehmen und ihr Stimmrecht auszuüben. Ist hingegen ein gemeinsamer Vertreter bestellt, steht Anleihegläubigern infolge seines verdrängenden Mandats nach § 19 Abs. 3 SchVG kein Stimmrecht in der Insolvenzgläubigerversammlung zu.

Foto: © Gina Sanders – stock.adobe.com

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Problemstellung
Insolvenzrechtlich gilt, dass das Stimmrecht vom bloßen Teilnahmerecht zu unterscheiden ist, da auch nicht stimmberechtigte Gläubiger und sogar Nichtgläubiger an Insolvenzgläubigerversammlungen teilnehmen können. Das Insolvenzrecht findet gem. § 19 Abs. 1 SchVG jedoch nur dann vorrangig Anwendung, wenn in § 19 Abs. 2 bis 5 SchVG nichts anderes geregelt ist. Im schuldverschreibungsrechtlichen Schrifttum ist umstritten, ob das verdrängende Mandat des § 19 Abs. 3 SchVG neben dem Stimm- auch das Teilnahmerecht der Anleihegläubiger in Insolvenzgläubigerversammlungen ausschließt.

Meinungsstand
Nach h.M. im Schrifttum ist das Recht des einzelnen Anleihegläubigers, an Insolvenzgläubigerversammlungen teilzunehmen, nicht von der Sperrfunktion des verdrängenden Mandats des gemeinsamen Vertreters erfasst. Es bestehe ein schützenswertes Interesse der Anleihegläubiger, sich selbst ein umfassendes Bild vom Stand des Verfahrens zu machen, um dem gemeinsamen Vertreter für die Ausübung des Stimmrechts in der Insolvenzgläubigerversammlung auf einer gesicherten Informationsbasis Weisungen erteilen zu können.

Kritische Würdigung
Die herrschende Literaturmeinung vermag u.E. nicht zu überzeugen. Der Gesetzgeber hat dem gemeinsamen Vertreter sämtliche Rechte der Anleihegläubiger im Insolvenzverfahren – ohne jegliche Einschränkung – übertragen. Verbliebe den einzelnen Anleihegläubigern ein Teilnahmerecht, wäre das Insolvenzgericht gezwungen, eine der potenziell hohen Teilnehmerzahl angemessenen Räumlichkeit auszuwählen. Damit verbunden wären erheblich höhere Kosten, die als Masseverbindlichkeit zu Lasten der Insolvenzmasse gehen. Wegen der Nichtöffentlichkeit der Insolvenzgläubigerversammlung wäre zur Überprüfung der Teilnahmeberechtigung zudem ein höherer organisatorischer Aufwand erforderlich. Mit der Bündelung der Rechte in der Person des gemeinsamen Vertreters gem. § 19 Abs. 3 SchVG verfolgt der Gesetzgeber indes den Zweck, eine effiziente und zügige Durchführung des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten.

Foto: © Zffoto – stock.adobe.com

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Ein Teilnahmerecht der Anleihegläubiger, das mit deutlich höherem Kosten- und Zeitaufwand verbunden ist, stünde hierzu in Widerspruch.

Dem kann u.E. auch das Informationsinteresse der Anleihegläubiger nicht entgegen gehalten werden. Im Rahmen der Berichtspflicht des gemeinsamen Vertreters gem. § 7 Abs. 2 Satz 4 SchVG werden die Anleihegläubiger über den aktuellen Verfahrensstand, den Inhalt und die Ergebnisse der Insolvenzgläubigerversammlung hinreichend informiert.

Fazit
Die Rechtsprechung hat sich mit der für die Praxis relevanten Frage des Teilnahmerechts einzelner Anleihegläubiger an Insolvenzgläubigerversammlungen – soweit ersichtlich – noch nicht befassen müssen. Es bleibt daher zu hoffen, dass sie hierzu zeitnah Gelegenheit haben wird. Daneben ist der Gesetzgeber aufgerufen, die Gemengelage zwischen der InsO und dem SchVG durch die Schaffung klarer gesetzlicher Bestimmungen zu regeln.

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