Law Corner: Bestellung eines gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren auch dann, wenn das SchVG in den Anleihebedingungen nicht einbezogen wurde?

Dr. Christian Becker, Partner und Lutz Pospiech, Assoziierter Partner, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München
Dr. Christian Becker (li) und Lutz Pospiech, GÖRG

Der Law Corner Beitrag von Dr. Christian Becker, Partner, Lutz Pospiech, Assoziierter Partner, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München.

Anleihegläubiger können auf der Grundlage des Schuldverschreibungsgesetzes von 2009 (SchVG) nur dann durch Mehrheitsbeschluss Änderungen der Anleihebedingungen beschließen und/oder einen gemeinsamen Vertreter bestellen, wenn das SchVG in den jeweiligen Anleihebedingungen wirksam einbezogen wurde. Die Einbeziehung des SchVG ist in den Anleihebedingungen verschiedener notierter Unternehmensanleihen nicht geregelt worden. Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen von Emittenten, die derartige Anleihen emittiert haben, wird damit die umstrittene Rechtsfrage relevant, ob ein gemeinsamer Vertreter im Insolvenzverfahren auch dann bestellt werden kann, wenn eine solche Bestellung in den Anleihebedingungen nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

Optionsmodell des Gesetzgebers
Anders als nach den Regelungen des Schuldverschreibungsgesetzes von 1899 haben die Gläubiger nach dem SchVG nicht mehr kraft Gesetzes das Recht, durch Mehrheitsbeschluss Änderungen der Anleihebedingungen zuzustimmen und/oder zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter (kurz: GV) zu bestellen. Der Gesetzgeber hat sich bewusst für das Optionsmodell entschieden: Zunächst müssen die Regelungen der §§ 5 ff. SchVG in den Anleihebedingungen ausdrücklich für die Anleihe für anwendbar erklärt werden, um von deren Möglichkeiten Gebrauch machen zu können (§ 5 I 1 SchVG).

Bestellung eines gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren
Nach § 19 II 1 SchVG können die Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Insolvenzverfahren einen GV bestellen. Das Insolvenzgericht hat zu diesem Zweck gemäß § 19 II 2 SchVG eine Gläubigerversammlung einzuberufen, wenn noch kein GV bestellt worden ist.

Fraglich ist jedoch, ob im Falle der Insolvenz auch ohne Einbeziehung der Möglichkeit der Bestellung eines GV in den Anleihebedingungen überhaupt eine Gläubigerversammlung nach § 19 II SchVG vom Insolvenzgericht einberufen werden darf.

Effizienzgedanke/kollektive Repräsentation der Anleihegläubiger sinnvoll
Zahlreiche Autoren im Schrifttum halten die Bestellung eines GV im Insolvenzverfahren auch dann für möglich, wenn die Bestellung eines GV in den Anleihebedingungen nicht vorgesehen ist. Argumentiert wird hier vor allem mit Sinn und Zweck sowie der Funktion des GV. Die Bündelung der Gläubigerrechte sei sinnvoll. Die Bestellung eines GV diene der effizienten Durchführung des Insolvenzverfahrens. Insoweit modifiziere § 19 II SchVG die Regelung in § 5 I 1 SchVG.

Auch das Amtsgericht Tostedt hat in Sachen Schneekoppe (Az. 22 IN 158/14) eine Gläubigerversammlung nach § 19 II SchVG einberufen, ohne dass in den Anleihebedingungen die Bestellung eines GV vorgesehen war.

Bedenken angesichts des Gesetzeswortlauts und der systematischen Stellung von § 19 II SchVG
Zwar ist die Bestellung eines GV im Insolvenzverfahren in aller Regel wünschenswert. Dennoch ist dem Gesetzeswortlaut weder in § 5 I SchVG noch in § 19 II SchVG eine Ausnahme zu entnehmen, dass für die Bestellung eines GV im Insolvenzverfahren auf die Einbeziehung dieser Möglichkeit in den Anleihebedingungen verzichtet werden kann und somit eine Abkehr vom gesetzgeberisch in § 5 I SchVG normierten Optionsmodell möglich sein soll.

Zudem spricht die systematische Stellung des § 19 II SchVG im zweiten Abschnitt des SchVG – und damit innerhalb der Regelungen des optionalen Gläubigerorganisationsrechts – gegen die Möglichkeit der Bestellung eines GV im Insolvenzverfahren, wenn seine Bestellung nicht in den Anleihebedingungen vorgesehen ist.

Der Regierungsbegründung (BT-Drucks. 16/12814, S. 25) lässt sich u.E. nicht zweifelfrei entnehmen, dass der Gesetzgeber im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abweichend von dem von ihm geregelten Optionsmodell in jedem Fall die Möglichkeit schaffen wollte, durch Mehrheitsbeschluss einen GV zu bestellen, auch wenn dies in den Anleihebedingungen nicht vorgesehen ist.

Fazit
Auch wenn die Bestellung eines GV in den Anleihebedingungen nicht geregelt ist, besteht in der Praxis oft das Bedürfnis, im Insolvenzverfahren über das Vermögen des betreffenden Emittenten einen GV zu bestellen. Aufgrund des Gesetzeswortlauts und der systematischen Stellung des § 19 II SchVG bestehen jedoch Bedenken, ob dies rechtlich zulässig ist. Vor diesem Hintergrund ist zu hoffen, dass zeitnah entweder der Gesetzgeber für Klarheit sorgt oder der BGH die Gelegenheit erhält, die Rechtsfrage höchstrichterlich zu klären.

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