Restrukturierung von Anleihen vor und in der Insolvenz

Läuft ein Emittent Gefahr, Verbindlichkeiten aus einer Schuldverschreibung nicht bedienen zu können, bieten sich mehrere Möglichkeiten an, die Schuldverschreibung zu restrukturieren. Außerhalb der Insolvenz kommt neben der Möglichkeit eines Angebots zum Rückkauf oder Tausch der Anleihen vor allem die durch das Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) im Jahr 2009 geschaffene Möglichkeit der Restrukturierung über einen Beschluss der Gläubigerversammlung in Betracht. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird dagegen eine Restrukturierung der Anleihen wohl nicht mehr nach SchVG, sondern nur noch im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens in Betracht kommen.

Möglichkeiten der Restrukturierung vor der Insolvenz
Der Emittent kann den wirtschaftlichen Effekt einer Restrukturierung zunächst durch ein freiwilliges Angebot zum Rückerwerb der ausgegebenen Anleihen oder zum Tausch in neue Anleihen erzielen. Der (Rück-)Kaufpreis bzw. der Nominalbetrag der im Austausch angebotenen neuen Anleihen kann deutlich unter dem Nominalbetrag der (alten) Anleihen liegen, da der Kapitalmarkt die Sanierungssituation des Emittenten durch einen Preisabschlag bereits „eingepreist“ haben wird. Der Erfolg dieser Maßnahmen hängt allerdings davon ab, ob und wie viele Anleihegläubiger das Rückkauf- oder Tauschangebot annehmen.

Alternativ zu einem Rückkauf- oder Tauschangebot bietet sich daher eine (Zwangs-)
Restrukturierung nach SchVG an. Sofern die Anleihebedingungen es vorsehen, kann die Gläubigerversammlung den Inhalt der Anleihen durch Beschluss in nahezu unbeschränktem Umfang ändern. Möglich sind z.B. die Veränderung der Fälligkeit, die Reduzierung der Hauptforderung und der Zinsen, das Austauschen des Schuldners sowie die Umwandlung der Anleihen in Gesellschaftsanteile (Debt-to-Equity-Swap). Ein dahingehender Beschluss der Gläubigerversammlung bedarf einer qualifizierten Mehrheit von 75 der teilnehmenden Stimmrechte, es sei denn, die Anleihebedingungen schreiben eine höhere Mehrheit vor. Der Vorteil einer Restrukturierung durch Beschluss der Gläubigerversammlung besteht darin, dass der Inhalt der Schuldverschreibung mit Wirkung für alle Anleihegläubiger, d.h. auch für die überstimmten Anleihegläubiger, geändert wird.

Keine Restrukturierung nach SchVG in der Insolvenz
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist allerdings die Möglichkeit zur Restrukturierung der Anleihen nach den Regeln des SchVG aufgrund einer unklaren Rechtslage derzeit höchst fraglich. Denn im Insolvenzverfahren haben die Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) grundsätzlich Vorrang vor dem SchVG. In einem Insolvenzverfahren hat das Insolvenzgericht zunächst von Amts wegen eine Gläubigerversammlung nach SchVG zum Zwecke der Wahl eines gemeinsamen Vertreters einzuberufen, sofern noch kein gemeinsamer Vertreter bestellt wurde. Überwiegend wird jedoch die Auffassung vertreten, dass eine Gläubigerversammlung der Anleihegläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur noch über die Bestellung, die Abberufung und/oder die Erteilung von Weisungen an den gemeinsamen Vertreter beschließen darf. Daher sollte bis zur Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Vorsicht davon ausgegangen werden, dass im Insolvenzverfahren eine Restrukturierung der Anleihen durch einen Beschluss einer Gläubigerversammlung nach SchVG nicht mehr erfolgen kann.

Restrukturierung durch Insolvenzplan
Eine Restrukturierung der Anleihen im Insolvenzverfahren kommt daher praktisch nur durch einen Insolvenzplan in Betracht. Ein Insolvenzplan kann verbindliche Regelungen über die Restrukturierung der Anleihen in gleichem Umfang wie eine Gläubigerversammlung nach Schuldverschreibungsgesetz treffen, insbesondere eine Forderungskürzung, einen Rangrücktritt der Anleihen oder einen Debt-to-Equity-Swap.

Der entscheidende Unterschied zwischen einer Restrukturierung nach InsO und einer Restrukturierung nach SchVG besteht allerdings darin, dass über die Restrukturierung der Anleihen nach InsO nicht allein die Anleihegläubiger beschließen. Denn der Insolvenzplan muss durch alle Beteiligten, d.h. nicht nur durch die Anleihe-, sondern auch die anderen Insolvenzgläubiger, angenommen und danach gerichtlich bestätigt werden. Dabei kann nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entschieden werden, ob die Anleihegläubiger eine eigene Gruppe im Rahmen der Zustimmungsbeschlüsse zum Insolvenzplan bilden oder etwa mit allen anderen nicht nachrangigen „einfachen“ Insolvenzgläubigern eine gemeinsame Gruppe bilden sollen.

Letzteres ist jedenfalls dann möglich, wenn die Rückzahlungsansprüche aus den Anleihen unbesichert sind. Durch die Zuordnung der Anleihen zu bestimmten Gläubigergruppen können die Mehrheitsverhältnisse in den einzelnen Gruppen und damit die Erfolgsaussichten des Plans beeinflusst werden. Die Mitwirkung eines durch die Gläubigerversammlung bestellten gemeinsamen Vertreters der Anleihegläubiger kann aber auch dafür sprechen, die Anleihegläubiger als gesonderte Gruppe zu behandeln.

Fazit
Außerhalb eines Insolvenzverfahrens bietet das SchVG eine effektive Möglichkeit, Anleihen durch Beschluss der Versammlung der Anleihegläubiger zu restrukturieren. Da derzeit rechtlich nicht geklärt ist, ob ein Beschluss der Gläubigerversammlung über die Restrukturierung von Anleihen nach SchVG auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig ist, sollte in sanierungsnahen Situationen rechtzeitig die Fassung eines derartigen Restrukturierungsbeschlusses erwogen werden.

Autoren: Dr. Mirko Sickinger und Sven Radke, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln