Law Corner: Erschwerte Bedingungen für „Trittbrettfahrer“ im schuldverschreibungsrechtlichen Freigabeverfahren

Dr. Christian Becker (li), Lutz Pospiech,
GÖRG, München

Der Law Corner Beitrag von Dr. Christian Becker, Partner, und Lutz Pospiech, Rechtsanwalt, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München

Auch bei Anleihen ist die aus dem Aktienrecht bekannte Gefahr des Missbrauchs der Anfechtungsklage immanent. Insbesondere in Krisensituationen eines Anleiheemittenten versuchen regelmäßig auftretende Kläger durch Anfechtungsklagen den Vollzug von Restrukturierungsbeschlüssen aufzuhalten. Dies wird opponierenden Anleihegläubigern nicht gelingen, wenn sie nicht bereits im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Einladung zur ersten Gläubigerversammlung, die dem Restrukturierungskonzept zustimmen soll, nachweislich Inhaber von Schuldverschreibungen der betreffenden Anleihe im Nennwert von mindestens 1.000 EUR waren.

Blockade des Vollzugs der Beschlüsse
Bei der Restrukturierung von Anleihen stimmen die Anleihegläubiger dem vorgeschlagenen Konzept oft mit Mehrheiten von über 90% zu. Dennoch werden die Restrukturierungsbeschlüsse häufig angefochten. Bei diesen Klägern handelt es sich um Gläubiger, die nach der Ankündigung von Restrukturierungsmaßnahmen Schuldverschreibungen günstig erwerben. Sie verfolgen das Ziel, durch Widersprüche gegen die Beschlüsse und die Erhebung von Anfechtungsklagen den Vollzug zu blockieren. Dadurch versuchen die sog. querulatorischen Anleihegläubiger, erhebliche Zahlungen der Gesellschaft an sich oder ihre Prozessbevollmächtigten zu erlangen. Im Gegenzug verzichten sie auf eine Klageerhebung oder ziehen eine erhobene Anfechtungsklage zurück.

Freigabeverfahren
Im Falle von Anfechtungsklagen kann ein Emittent die Beschlüsse der Anleihegläubiger erst dann vollziehen, wenn ein Freigabebeschluss des zuständigen OLG ergeht. Ein Freigabeantrag eines Emittenten hat gemäß § 20 Abs. 3 S. 3 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG insbesondere dann Erfolg, wenn ein Kläger nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Antrags nachweist, dass er seit der Einberufung der Anleihegläubigerversammlung Schuldverschreibungen der betreffenden Anleihe im Nennwert von insgesamt 1.000 EUR hält.

Hinreichende Vorbesitzzeit
Der Gesetzgeber wollte durch diesen Freigabegrund das Geschäftsmodell von Klägern erschweren, die nur auf die Erhebung von Anfechtungsklagen aus sind und aufgrund einer bekannt gemachten Tagesordnung mögliche Ansatzpunkte identifizieren (vgl. RegBegr. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 42).

Dieser Wille des Gesetzgebers kann im schuldverschreibungsrechtlichen Freigabeverfahren nur dann erreicht werden, wenn allein auf die Bekanntmachung der Einberufung der ersten – praktisch regelmäßig beschlussunfähigen – Gläubigerversammlung abgestellt wird (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 30.09.2015, Az. 7 AktG 1/15). Nur bei dieser Gesetzesauslegung kann der Sinn und Zweck der Regelung erreicht werden: Es soll verhindert werden, dass Anfechtungskläger die Bekanntmachung der Tagesordnung zum Anlass nehmen, Schuldverschreibungen überhaupt erst zu erwerben, um mit der Erhebung von Anfechtungsklagen eine Blockadesituation zu erzeugen. Dies gilt umso mehr, als die TOPs für die ggf. erforderliche zweite AGV mit den TOPs der ersten Versammlung identisch sind, damit in der zweiten AGV die herabgesetzten Beschlussfähigkeitsquoren (§ 15 Abs. 3 S. 3 SchVG) gelten.

Fazit
Der Börsenkurs einer zu sanierenden Anleihe sinkt oft direkt und erst nach Veröffentlichung der Einladung zur ersten AGV und des damit verbundenen Bekanntwerdens eines Restrukturierungskonzepts deutlich. Gegen Anfechtungsklagen von Anleihegläubigern, die erst zu diesem Zeitpunkt Anleihen erwerben, wird ein Emittent bereits aufgrund der unzureichenden Vorbesitzzeit der Schuldverschreibung einen Freigabebeschluss erwirken können – auf die Erfolgsaussichten der Klage und/oder ein vorrangiges Vollzugsinteresse kommt es dann gar nicht erst an.

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