Law Corner: Besonderheiten der Insolvenzabwicklung ohne gemeinsamen Vertreter

Dr. Christian Becker, Partner und Lutz Pospiech, Assoziierter Partner, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München
Dr. Christian Becker (li), Dr. Lutz Pospiech, GÖRG

Der Law Corner Beitrag von Dr. Christian Becker, Partner, Dr. Lutz Pospiech, Assoziierter Partner, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München.

Die Einzelheiten der Abwicklung einer Anleihe eines insolventen Emittenten hängen maßgeblich davon ab, ob die Gläubiger der Anleihe einen gemeinsamen Vertreter bestellt haben. Gibt es keinen gV, der allein berechtigt und verpflichtet ist, die Rechte der Anleihegläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen (§ 19 III SchVG), haben die Anleihegläubiger ihre Rechte selbstständig wahrzunehmen. Dies erhöht die Komplexität der Abwicklung der Anleihe für den Insolvenzverwalter oder den Sachwalter deutlich und führt zu nicht unerheblichen praktischen Umsetzungsschwierigkeiten.

Hintergrund
Der Gesetzgeber sieht die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters als in „aller Regel wünschenswert“ an (BT-Drucks. 16/12814, S. 25), zwingend ist sie allerdings nicht. Wenn in den Anleihebedingungen eines insolventen Emittenten diese Bestellung nicht vorgesehen ist, oder wenn Anleihegläubiger im Rahmen einer vom Insolvenzgericht einberufenen AGV nach § 19 II SchVG keinen gV bestellen, kann die Insolvenzabwicklung der Anleihe nur ohne gemeinsamen Vertreter erfolgen.

Forderungsanmeldung
Ist kein gV bestellt, muss jeder Anleihegläubiger selbst seine Gläubigerstellung nachweisen und seine Forderungen ordnungsgemäß nach den Regelungen der InsO zur Insolvenztabelle anmelden. Als Nachweis der Inhaberschaft einer in einer Globalurkunde verbrieften Anleihe reicht u.E. ein aktueller Depotauszug aus.

Feststellung zur Insolvenztabelle und Quotenausschüttung
Bei der Ausschüttung muss sichergestellt sein, dass der jeweilige Anleihegläubiger Inhaber der Forderung ist. Dabei hat der Insolvenzverwalter Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um das Risiko von Doppelfeststellungen zu minimieren.

Die u.E. sicherste und gleichzeitig praktikabelste Maßnahme zur Reduzierung des Risikos der Doppelfeststellung ist, von den Anleihegläubigern mit zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen eine Umbuchung ihrer Anleihen in eine separate, jedenfalls bis zum Ausschüttungstag nicht handelbare Wertpapierkennnummer zu verlangen.

Die Anleihegläubiger geben dann gegenüber ihrer Depotbank eine Erklärung ab, wonach ihre Anleihen in eine separate WKN umgebucht werden sollen. Die Umbuchung wird nur dann vorgenommen, wenn sich zum Zeitpunkt der Umbuchung tatsächlich eine Anleihe im Depot des jeweiligen Anleihegläubigers befindet. Anschließend ist ein Handel nicht mehr möglich. Die Zahlstelle gleicht vor einer Ausschüttung die Namen der Anleihegläubiger sowie die Anzahl ihrer in die neue WKN eingebuchten Anleihen mit den Namen derjenigen Anleihegläubiger mit zur Tabelle festgestellten Forderungen aus den Anleihen ab. Diejenigen Anleihegläubiger, die ihre Anleihen umgebucht haben, und deren Forderungen in der Insolvenztabelle festgestellt sind, erhalten dann über die Clearstream Banking AG (Clearstream) eine Ausschüttung auf die Hauptforderung aus den jeweiligen Anleihen.

Einbehalt von Steuern
Die Anleihegläubiger melden regelmäßig nicht die korrekt berechneten Zinsen für den Zeitraum bis zur Insolvenzeröffnung zur Insolvenztabelle an. Dies führt dazu, dass Ausschüttungen auf die Zinsforderungen nicht über Clearstream erfolgen können, sondern vom Insolvenzverwalter selbst vorzunehmen sind. Dabei ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag sowie gegebenenfalls auch Kirchensteuer einzubehalten und abzuführen.

Fazit
Unseres Erachtens wird die Komplexität der Abwicklung einer Anleihe im Insolvenzverfahren ohne gemeinsamen Vertreter oftmals unterschätzt. Das konkrete Vorgehen, insbesondere die kapitalmarktrechtliche und wertpapiertechnische Umsetzung, sollte ein Insolvenzverwalter im Vorfeld mit der Zahlstelle, mit Clearstream und ggf. auch dem BZSt frühzeitig detailliert abstimmen.

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