Abstimmungen der Anleihegläubiger ohne Versammlung

Law Corner

Erste Praxiserfahrungen offenbaren erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung

Von Dr. Christian Becker, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München

Im Schuldverschreibungsgesetz aus dem Jahre 2009 („SchVG„) ist erstmals und bis dahin ohne gesetzliches Vorbild geregelt, dass Anleihegläubiger Beschlüsse fassen können, ohne dass hierzu eine Gläubigerversammlung stattfinden muss. Erste Beschlussfassungen im Wege solcher „Abstimmungen ohne Versammlung“ nach § 18 SchVG zeigen jedoch, dass es in der Praxis noch erhebliche rechtliche und praktische Unsicher­heiten gibt. Zudem wird deutlich, dass diese neue Beschlussform insbesondere in Restrukturierungssituationen dem erhöhten Informations- und Diskussionsbedürfnis der Anleihegläubiger nicht gerecht wird.

Gesetzliche Grundlagen
Nach § 5 Abs. 6 SchVG beschließen Anleihegläubiger entweder in einer Gläubigerversammlung oder im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung. In den Anleihebe­dingungen können ausschließlich eine der beiden oder auch beide Beschlussformen alternativ vorgesehen werden. Durch die Regelung der Abstimmung ohne Versammlung in § 18 SchVG wollte der Gesetzgeber ein Verfahren schaffen, um unnötigen Kosten- und Zeitaufwand zu vermeiden. Anleihegläubiger können hiernach in einem Abstimmungszeitraum von mindestens 72 Stunden ihre Stimmabgabe in Textform (d.h. auch per Email) an den Abstimmungsleiter übersenden.

Unklarheiten und Probleme bei der praktischen Umsetzung
Aufgrund der generellen Verweisung in § 18 Abs. 1 SchVG auf die Vorschriften über die Einberufung und Durchführung einer Gläubigerversammlung sind die Besonderheiten des Abstimmungsverfahrens ohne Versammlung im Gesetz allerdings unzureichend geregelt. Unklar ist etwa, bis zu welchem Zeitpunkt Gegenanträge gestellt werden können. Sofern Gegenanträge und/oder Ergänzungsverlangen gestellt werden, ist ein bereits auf der Website des Emittenten veröffentlichtes Stimmabgabeformular ggf. auch mehrfach zu aktualisieren. Insoweit stellt sich die Frage, wie Stimmabgaben unter Verwendung „überholter“ Stimmabgabeformulare zu behandeln sind.

Darüber hinaus sind Stimmabgaben, die dem Abstimmungsleiter außerhalb des Abstimmungszeitraums zugehen (also insbesondere auch die zu früh übermittelten Stimmen), ungültig und können nicht berücksichtigt werden. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob die zu früh Abstimmenden in das erforderliche Verzeichnis des Abstimmungsleiters über die stimmberechtigten Anleihegläubiger aufzunehmen und für die Feststellung der Beschlussfähigkeit zu berücksichtigen sind.

Ein nicht zu unterschätzender Nachteil ist darüber hinaus die fehlende Möglichkeit des Vorstands des Emittenten, sich z.B. im Rahmen einer Präsentation an die Anleihegläubiger zu wenden und sich ihren Fragen persönlich zu stellen. Insbesondere in Restrukturierungssituationen hat es sich in der Praxis als erfolgreich erwiesen, die Anleihegläubiger im Rahmen einer Versammlung ausführlich über den aktuellen Stand der Restrukturierung zu informieren, ihnen ein Diskussionsforum anzubieten und sie so von dem Gesamtkonzept der Restrukturierung zu überzeugen und einzubinden.

Fazit
In bestimmten Konstellationen eignet sich die Abstimmung ohne Versammlung und bedeutet für den Emittenten und die Anleihegläubiger eine Kosten- und Zeitersparnis. Bereits bei Emission einer Anleihe ist aber darauf zu achten, in den Anleihebedingungen nicht nur die Abstimmung ohne Versammlung als Beschlussform der Gläubiger zu regeln. Vorzugswürdig ist vielmehr, dass in den Bedingungen alternativ beide Beschlussformen vorgesehen werden. Nur so kann ein Emittent flexibel genug entscheiden.