Abbildung von Rechtsstreitigkeiten im (Konzern-) Jahresabschluss börsennotierter Unternehmen

Abbildung von Rechtsstreitigkeiten im (Konzern-) Jahresabschluss börsennotierter Unternehmen – ein Prüfungsschwerpunkt der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung im Jahr 2015.

Von Michael Neises und Dr. Mirko Sickinger, beide Partner, Heuking Kühn Lüer Wojtek

Die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung e.V. (DPR) hat Ende Oktober 2014 ihre Prüfungsschwerpunkte 2015 veröffentlicht. Diese ergänzen die von der European Securities and Markets Authority (ESMA) gemeinsam mit den nationalen Behörden auf europäischer Ebene jährlich festgelegten Enforcement-Schwerpunkte. Einer der Schwerpunkte für das kommende Jahr ist die Abbildung von Rechtstreitigkeiten und die Bildung von Rückstellungen für Prozessrisiken. Unternehmen, deren Wertpapiere im regulierten Markt notiert sind, sollten daher bei der Aufstellung der (Konzern-) Jahresabschlüsse für das Geschäftsjahr 2014 ein besonderes Augenmerk auf die transparente, angemessene und nachvollziehbare Abbildung von Prozessrisiken legen, da bei der Feststellung von Mängeln bei der Rechnungslegung die Fehlerveröffentlichung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit erheblichen Reputationsrisiken droht und Bußgelder verhängt werden können.

Hintergrund
Die DPR prüft seit dem 1. Juli 2005 im Rahmen von Stichproben jährlich die Rechnungslegung von kapitalmarktorientierten Unternehmen, deren Wertpapiere im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 WpHG an einer inländischen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind. Betroffen von diesem sogenannten Enforcement-Verfahren sind damit alle Emittenten von zum Handel im regulierten Markt zugelassenen Aktien, Anleihen, Genussscheinen oder Zertifikaten. Das Enforcement-Verfahren soll Unregelmäßigkeiten bei der Rechnungslegung kapitalmarktorientierter Unternehmen aufdecken und sie vor allem präventiv verhindern.

Die Information der Anleger über die aufgedeckten Fehler ist dabei gleichzeitig Zweck und präventives Mittel des Verfahrens. Gesetzlich geregelt ist das Enforcement-Verfahren in den §§ 342b ff. HGB.

In Deutschland ist das Enforcement-Verfahren zweistufig ausgestaltet, sodass neben der privatrechtlich organisierten DPR noch die mit hoheitlichen Mitteln ausgestattete BaFin beteiligt ist. Die Prüfstelle prüft, ob der jeweilige Abschluss und der dazugehörige Lagebericht „den gesetzlichen Vorschriften einschließlich der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung oder den sonstigen durch Gesetz zugelassenen Rechnungslegungsstandards entspricht“ (§ 342b Abs. 2 Satz 1 HGB). Die aus dem Committee of European Securities Regulators (CESR) im Jahr 2011 hervorgegangene European Securities and Markets Authority (ESMA) verfolgt unter anderem das Ziel, in Europa einheitliche Standards für ein qualitativ hochwertiges Enforcement zu entwickeln und eine einheitliche Anwendung von IFRS-Vorschriften durchzusetzen. In diesem Rahmen haben die ESMA und die nationalen Enforcer nun zum dritten Mal gemeinsame europäische Enforcement-Schwerpunkte abgestimmt.

Abbildung von Rechtsstreitigkeiten im (Konzern-) Jahresabschluss einer der Prüfungsschwerpunkte für 2015
Prüfungsgegenstand des Enforcement-Verfahrens sind nach § 342b Abs. 2 Satz 1 HGB der Jahresabschluss und der zugehörige Lagebericht bzw. der Konzernabschluss und der zugehörige Konzernlagebericht sowie der zuletzt veröffentlichte verkürzte Abschluss und der zugehörige Zwischenlagebericht (Halbjahresfinanzbericht i.S.d. §§ 37w Abs. 2, 37y WpHG). Im vierten Quartal eines jeden Kalenderjahres legt die DPR die Prüfungsschwerpunkte für das nachfolgende Kalenderjahr fest, die – bei entsprechend materieller Bedeutung – in jeder Stichprobenprüfung von der DPR aufgegriffen werden. Die Auswahl der Prüfungsschwerpunkte ergibt sich primär aus den Erfahrungen der DPR mit häufig fehlerhaft umgesetzten Normen bzw. bilanziellen Sachverhalten, aus einer Orientierung an aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen, die auf die Bilanzierung und Berichterstattung Einfluss haben können, und aus dem Rückgriff auf einzelne vor kurzem verabschiedete neue Standards.

Für die im kommenden Jahr anstehenden Prüfungen der DPR wurde nun unter anderem ein Prüfungsschwerpunkt in Bezug auf die Abbildung von Rechtsstreitigkeiten und damit verbundenen Prozessrisiken in den Abschlüssen (IAS 37, DRS 20) festgelegt. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Abschlussangaben:

  • § Ansatz und Bewertung von Rückstellungen für Prozessrisiken (IAS 37)
  • § Nachweis über die nur in Ausnahmefällen fehlende Möglichkeit einer verlässlichen Schätzung von Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten gemäß IAS 37.26, insbesondere über mehrere Perioden oder über eine Mehrzahl von Rechtsstreitigkeiten hinweg
  • § Klare Trennung der Angaben zu den Rückstellungen für Prozessrisiken gemäß IAS 37.85 von den Angaben zu den Eventualverbindlichkeiten für Rechtsstreitigkeiten gemäß IAS 37.86 im Konzernanhang
  • § Nachweis über die nur in Ausnahmefällen bestehende Möglichkeit zum Verzicht auf die Berichterstattung über einen Rechtsstreit und Beachtung der Mindestangaben gemäß IAS 37.92
  • § Angabe der für das Verständnis des Abschlusses relevanten Bilanzierungsmethoden gemäß IAS 1.117, z.B. für Ansatz und Bewertung von Rückstellungen für wesentliche anhängige Sammelklagen
  • § Transparente und verständliche Berichterstattung über Prozessrisiken im Konzernlagebericht gemäß § 315 Abs. 1 Satz 5 HGB, DRS 20.116 ff. sowie ggf. DRS 20.A1.19 ff. bzw. DRS 20.A2.17 ff.

 
Bedeutung für die Praxis
Emittenten ist vor diesem Hintergrund zu empfehlen, bei der Aufstellung der (Konzern)-Jahresabschlüsse 2014 besondere Sorgfalt bei der Abbildung und Darstellung von Prozessrisiken walten zu lassen. Aus den Angaben im Abschlussanhang sollte klar ersichtlich sein, für welche Risiken Rückstellungen gemäß IAS 37.85 gebildet und für welche Risiken Eventualverbindlichkeiten gemäß IAS 37.86 angegeben wurden. Eine unklare oder teilweise lückenhafte Abbildung von Prozessrisiken birgt das Risiko, Zielscheibe von Maßnahmen im Rahmen des Enforcement-Verfahrens zu werden. Nach einer Fehlerfeststellung durch die DPR fragt diese zunächst bei dem betroffenen Emittenten nach, ob dieser mit der Darstellung des Sachverhaltes, des Fehlers und seiner Begründung einverstanden ist. Ist dies der Fall, teilt die DPR dies der BaFin mit, die dann die Veröffentlichung der Fehler anordnen wird, es sei denn, (i) es besteht kein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung oder (ii) der BaFin kann nachgewiesen werden, dass ausnahmsweise überwiegende Interessen des Unternehmens der Veröffentlichung entgegenstehen. Praktisch spielen die Ausnahmen keine Rolle, da das Gesetz von einem überwiegenden öffentlichen Interesse an der Veröffentlichung ausgeht. Sofern der Emittent mit den Fehlerfeststellungen nicht einverstanden ist, wird die BaFin eine Enforcement-Prüfung auf der zweiten Stufe des Enforcement-Verfahrens anordnen und abschließend das Ergebnis der DPR bestätigen oder verwerfen und dann die Fehlerveröffentlichung ggf. anordnen. Auch die Verhängung von Bußgeldern gegen den Emittenten durch die BaFin ist in diesem Rahmen möglich.

Nicht zuletzt um die eigenen Erfolgschancen in laufenden Verfahren oder auch im Rahmen von Vergleichsverhandlungen nicht zu schmälern, ist bisher häufig zu beobachten, dass Emittenten bei der Darstellung von Rechtsstreitigkeiten und der Abbildung von Prozessrisiken in den Jahresabschlüssen sehr zurückhaltend vorgehen. Weitere Faktoren sind auch die mit Rechtsstreitigkeiten und Prozessrisiken häufig verbundenen Reputationsschäden. Die auf eine umfassende und transparente Information der Anleger ausgerichteten Publizitätsanforderungen stehen hiermit regelmäßig in Konflikt. Mit Blick auf die für 2015 angekündigten Prüfungsschwerpunkte der DPR ist bei der Aufstellung der Jahresabschlüsse für 2014 nun aber besonderes Augenmerk auf diese Problematik zu richten: Stellt sich nämlich im Rahmen einer DPR Prüfung heraus, dass die Rechnungslegung fehlerhaft war, besteht aufgrund der Sanktionsmöglichkeit der Fehlerveröffentlichung die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in besonderem Maße auf die kritischen Punkte gelenkt wird. Zwar mag es im Einzelfall gelingen, die BaFin davon zu überzeugen, dass die Fehlerveröffentlichung in Bezug auf die Darstellung der Prozessrisiken überwiegende Interessen des Unternehmens verletzen würde. Dies wird jedoch aus den angeführten Gründen die Ausnahme sein. Emittenten sollten daher bereits bei der Abschlusserstellung insbesondere auch auf ein konsistentes Gesamtbild bei der Finanzberichterstattung achten, da Ansatz und Bewertung von Rückstellungen für Prozessrisiken auch im Einklang mit der Berichterstattung im (Konzern-)Lagebericht stehen müssen.

Empfehlung
Mit Blick auf die nun kommunizierten Prüfungsschwerpunkte der DPR für 2015 im Rahmen des Enforcement-Verfahrens ist allen Emittenten, die bedeutende Rechtsstreitigkeiten führen oder von relevanten Prozessrisiken betroffen sind, zu empfehlen, die Darstellung in den Jahresabschlüssen für 2014 nicht nur mit ihren Abschlussprüfern, sondern auch eng mit den die Prozessmandate begleitenden Rechtsanwälten und Kapitalmarktrechtsexperten abzustimmen. So kann sichergestellt werden, dass die oben genannten Publizitätsanforderungen an die Abbildung von Rechtsstreitigkeiten und Prozessrisiken im (Konzern-) Jahresabschluss erfüllt werden.

 

Neises_Michael Sickinger HKLWMichael Neises (li.) und Dr. Mirko Sickinger