„In den USA haben Etablierung und Entwicklung dieses Marktes 20 Jahre beansprucht“

Als einer der aktivsten Marktteilnehmer am Bondmarkt hat die quirin bank nicht nur drei umfangreiche Anleihen von Air Berlin, sondern u.a. auch von MS Deutschland platziert. Das GoingPublic Magazin sprach mit Holger Hinz über die aktuelle Marktlage bei Mittelstandsanleihen, die – seiner Meinung nach – weiterhin in ihren Kinderschuhen stecken.

Interview mit Holger Clemens Hinz, Managing Dircetor, Investment Banking, quirin Bank AG

GoingPublic: Herr Hinz, Übertreibung am Markt für Mittelstandsanleihen oder noch alles im grünen Bereich?
Hinz: Einige Entwicklungen möchte ich als durchaus „spannend“ einstufen.

GoingPublic: Zum Beispiel?
Hinz: Anleihen mit Doppel-B-Rating und recht niedrigem Kupon starten bei 105% in den Handel, wo Sie sich sicherlich die Frage nach einem risikoadäquaten Pricing stellen können.

GoingPublic: Die quirin bank gilt ein wenig als Hausfinancier von Air Berlin, die immerhin schon eine Wandelanleihe, drei Anleihen und eine Aufstockung unter der Ägide Ihrer Bank zu absolvieren vermochte.
Hinz: Das ist ja nicht grundverkehrt, im Gegenteil. Es zeigt doch eine gewisse Zufriedenheit beim Kunden, wenn man immer wieder bestätigt wird. Es ist auch Philosophie des Hauses, nicht nur transaktionsorientiert einmalig zu beraten, sondern einen Kunden über einen längeren Zeitraum zu begleiten. Vielleicht unterscheidet uns diese Einstellung auch ein bisschen vom Wettbewerb.

GoingPublic: Heißt das, Air Berlin kommt jetzt mindestens einmal pro Jahr mit einer Anleihe?
Hinz: Als SDAX-Unternehmen hat Air Berlin vielfältige Möglichkeiten, Finanzierungsoptionen wahrzunehmen. Selbst wenn der Markt für Mittelstandsanleihen irgendwann einmal schwere Stunden durchmachen sollte, glaube ich, dass ein SDAX-Unternehmen da deutlich mehr Spielraum hat als viele andere Emittenten in dem Segment.

GoingPublic: Und Praktiker?
Hinz: Na gut. Das eine ist Handel, das andere Logistik. Aber selbst der Fall Praktiker zeigt den Verhandlungsspielraum gegenüber Gläubigern beim Thema Sanierung. Das ist eine Frage der kritischen Masse.

GoingPublic: Was muss der hiesige Markt für Mittelstandsanleihen noch lernen, bzw. seine Marktteilnehmer?
Hinz: Da sollte man sich darüber im Klaren sein, dass auch der Markt für Hochzinsanleihen – und davon reden wir im Grunde – seinerzeit in den USA nicht von heute auf morgen aus dem Nichts entstand. Die ersten Anleihen hatten dort ebenfalls keine heute üblichen Kreditklauseln, die inzwischen als Standardkatalog von Banken- wie Investorenseite je nach Verhandlungsgeschick hinzutreten. Das Gleiche spielt sich unserer Meinung nach derzeit hier ab. Aktuell sehen wir den Trend, bestimmte Formen der Besicherung hervorzuheben oder auch Ausschüttungen an die Eigentümer zu limitieren. Ein interessantes Beispiel ist hier sicherlich die Anleihe der Betreibergesellschaft des bekannten Traumschiffs MS Deutschland – die einzige bisher, die über eine erstrangige, dingliche Besicherung verfügt. Das ist ein Learning by Doing. Wir sind hier sicherlich immer noch in der Entwicklungsphase. Nur zum Vergleich: In den USA hat das 20 Jahre gebraucht und der Markt entwickelt sich auch aktuell noch weiter.

GoingPublic: Ist das auch unseren potenziellen mittelständisch geprägten Familienunternehmen gewahr?
Hinz: Wer ist schon der typische Mittelständler? Zahlreiche Emittenten kommen aus dem Private-Equity- oder Mezzanine-Portfolio von Finanzinvestoren, das ist auch der Klassiker im Hochzinsanleihenmarkt generell. Der Markt wird eben nicht aus dem unternehmergeführten Mittelstand heraus getrieben. Er sträubt sich – ich will nicht übertreiben: oftmals – gegen die für den Kapitalmarkt erforderliche Form aktiver Kommunikation zur Finanzlage nach außen in die breite Öffentlichkeit. Das war auch der Vorteil bei den Mezzanine-Programmen, alles lief intern zum Investor analog der Bankfinanzierung. Erst sehr wenige dieser Mittelständler haben den Weg an die Kapitalmärkte, ob mittels IPO oder IBO, bisher überhaupt beschritten.

GoingPublic: An der Kommunikation hapert es vor allem bei bislang nicht mit den Finanzmärkten in Berührung gekommenen Emittenten, wie es scheint.
Hinz: Der Schein trügt nicht. Es ist doch klar, dass Emittenten mit Private-Equity-Hintergrund oder solche, die bereits börsennotiert sind, sich viel leichter dabei tun, eine Anleihe-Refinanzierung darzustellen und zu kommunizieren. Die zweite Gruppe sind Markenunternehmen, die derzeit anscheinend fast alles platzieren können. Die Eigenemission ohne Bankenbeteiligung dagegen dürfte zwischenzeitlich totgelaufen sein.

GoingPublic: Können potenzielle Emittenten eigentlich bei ihrer Hausbank mit dieser zusätzlichen Option „Mittelstandsanleihe“ neuerdings wuchern, d.h. günstigere Konditionen aushandeln?
Hinz: Die Bereitschaft von Banken zu alternativen Finanzierungsmöglichkeiten hat zuletzt auf jeden Fall wieder zugenommen. Einige potenzielle Emittenten werden unter diesem Gesichtspunkt dann auch leichter mal „rückfällig“ und wählen statt einer Anleiheemission doch wieder den bewährten Hausbankweg. Daneben gibt es auch Fälle, wo Banken sich komplett gegen Anleihefinanzierungen, trotz deren struktureller Nachrangigkeit, stellen.

GoingPublic: Wie ernst sind Ratings zu nehmen?
Hinz: Die deutschen Agenturen werden sicherlich noch einen langen Weg beschreiten müssen, um international ernst genommen zu werden. Aber davon abgesehen ist es gut, dass bei den Emissionen auch weitere Parteien einen kritischen Blick auf Bilanz und Assets werfen und ausführlich dokumentieren, gerade bei nicht börsennotierten Gesellschaften. Am Ende des Tages stehen hier alle wie das Kaninchen vor der Schlange: Kommen die großen amerikanischen Agenturen ein wenig von ihrer global-internationalen Sichtweise herunter oder bewegen sich die deutschen Agenturen mehr als bisher in Richtung Kapitalmarktbetrachtung? Auch da muss man sagen: Wir stecken noch in den Kinderschuhen.

GoingPublic: Herr Hinz, einmal mehr vielen Dank für Ihre interessanten Einblicke!

Das Interview führte Falko Bozicevic.

Das geführte Interview ist Bestandteil des Specials „Anleihen 2013“ (3. Jg.) des GoingPublic Magazins, das am 23. Februar erscheint.