HINTERGRUND: Anleiheboom – Deutsche Unternehmen holen sich billig Geld ins Haus

FRANKFURT (dpa-AFX) – Deutsche Unternehmen gehören zu den großen Gewinnern der Euro-Schuldenkrise. Günstig wie selten konnten sie sich angesichts der niedrigen Zinsen zuletzt frisches Geld ins Haus holen und so Milliarden sparen. Das treibt die Gewinne an. Besonders auf den Anleihemärkten entwickelte sich ein regelrechter Boom. So hat Continental erst am Montag eine 750 Millionen schwere Anleihe zu einem Zinssatz von 3,125 Prozent platziert – die eine mehr als doppelt so hoch verzinste Schuldverschreibung ablöst. Und das war nicht das erste Mal. Im Mai startete der Autozulieferer ein insgesamt 5 Milliarden Euro schweres schweres Programm, mit dem hoch verzinste Anleihen vorzeitig gegen billigere ausgetauscht werden sollen.

Continental ist nicht allein. Bei Anlegern sind Schuldscheine von als solide geltenden deutschen Industrieunternehmen derzeit heiß begehrt. So holte sich der Autobauer BMW in der vergangenen Woche für sieben Jahre 750 Millionen Euro ins Haus und muss dafür gerade einmal 2 Prozent Zinsen zahlen. Der Gasehersteller Linde platzierte im vergangenen Jahr eine Anleihe mit einer Laufzeit von acht Jahren über eine Milliarden Euro für gerade einmal 1,75 Prozent Zinsen. Ähnlich sieht es auch bei Siemens , BASF oder Daimler aus.

Und auch wenn ein Ende der ultralockeren Geldpolitik in den USA absehbar scheint und auch schon diesseits des Atlantiks die Zinsen leicht angestiegen sind, ist die Hausse am Anleihemarkt noch nicht vorbei. Ganz im Gegenteil. ‚Der Anleiheboom setzt sich fort‘, sagt der Leiter des Bereichs Anleihen-Emissionen bei der Commerzbank, Joachim Heppe. In diesem Jahr hätten Unternehmen schon 170 Milliarden Euro durch Anleihen eingesammelt. ‚Das ist ein Zuwachs von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.‘ Das freilich geht auf Kosten der Finanzunternehmen, die selbst 30 Prozent weniger Anleihen ausgaben.

‚Eine Sättigung bei den Investoren ist nicht zu sehen, die Nachfrage bleibt mangels Alternativen hoch‘, sagt Heppe. Das sieht auch Max Falckenberg von der Unternehmensberatung Roland Berger so. ‚Auch in diesem Herbst dürfte sich die hohe Nachfrage nach Anleihen fortsetzen.‘ Selbst bei einer schlechten Bonitätseinschätzung der Unternehmen gingen Anleihen derzeit gut, wenn auch mit einem höheren Zins.

Das ist auch in den USA so. Dort hat sich der Markt für sogenannte Ramsch-Anleihen – also Papiere, bei denen die Ratingagentur die Gefahr eines Ausfalls für hoch halten – binnen sieben Jahren von einer auf zwei Billionen Dollar erhöht. Experten warnen schon vor einer Überhitzung. Die Geldpolitik der Notenbank trieb die Anleger zu Papieren mit einer höheren Rendite. Selbst Unternehmen die sonst pleite gegangen wären, konnten sich deshalb noch refinanzieren.

Sollten die Leitzinsen wieder steigen, könnte sich das ändern und nicht mehr jedes Unternehmen erfolgreich eine Anleihe platzieren. Doch am Ende ist der Anleiheboom damit nicht. Es könnte sogar sein, dass er weiter zulegt. ‚Wenn die Konjunktur an Fahrt gewinnt, könnten wir mehr Emissionen sehen‘, sagt der Kreditexperte des US-Bank Morgan Stanley, Adam Richmond. Dann bräuchten Unternehmen schließlich mehr Geld für Investitionen. Einziger Wermutstropfen aus Sicht der Firmen: Mit den Niedrigzinsen dürfte es dann wohl vorbei sein, sie müssten tiefer in die Tasche greifen, weil die Anleger mehr Alternativen haben.

Das gilt auch für Deutschland, selbst, wenn zumindest in Europa eine Zinswende noch weit entfernt ist. Genau deshalb greifen jetzt viele Unternehmen zu, um sich langfristig günstig mit Geld einzudecken. ‚Wer in den nächsten zwölf Monaten refinanzieren muss, sollte sich rechtzeitig damit beschäftigen und die noch guten Konditionen nutzen‘, sagt auch Roland-Berger-Berater Falckenberg. ‚Für Unternehmen gibt es eigentlich keinen Grund, länger mit der Ausgabe von Anleihen zu warten‘, sagt Commerzbank-Experte Heppe. ‚Viel tiefer als derzeit dürften die Zinsen nicht mehr sinken.’/enl/fbr/stb

— Von Erik Nebel, dpa-AFX —